Küchenchef Franz Ruhm: Ein Leben voller Innovationen und visionärer Kreativität
Was hat Franz Ruhm mit der digitalen Welt zu tun....
In Zeiten aufkeimender Kriege in den Grenzgebieten Europas, kaum noch leistbarer Preissteigerungen und tiefgreifender Umstrukturierungen im Berufswesen wächst die Unsicherheit unter den Menschen. Die Sorge um eine sichere Zukunft in allen Bereichen des Lebens ist quer durch alle Gesellschaftsschichten spürbar. Künstliche Intelligenz wird nicht selten als Jobkiller oder Bedrohung der eigenen beruflichen Existenz wahrgenommen. Pessimismus beginnt sich auszubreiten – und Kreativität sowie Innovation scheinen in diesem Klima kaum fruchtbaren Boden zu finden.
Doch das Leben meint es nicht immer sanft mit uns. Ort, Zeit und Umfeld sind uns nicht zur Wahl gestellt – wir werden hineingestellt in eine Welt, die uns zunächst unveränderlich erscheint. Ob Schicksal oder Zufall, darüber mag man streiten – von Bedeutung ist es nicht, denn Ausreden akzeptiert das Leben nicht. Entscheidend ist die Kunst, aus dem Geschenk des Daseins das Beste zu formen. Nicht allein das, was uns in die Wiege gelegt wird, bestimmt unseren Wert, sondern wie wir den Weg gehen, der vor uns liegt.
So hat auch mein Großonkel Koch Franz Ruhm vor fast 100 Jahren seinen eigenen Pfad beschritten – einen ungewöhnlichen, ja bemerkenswerten, oft auch schwierigen Weg. In diesem Weg spiegelt sich nicht nur sein Können, sondern auch die Kraft des Lebens selbst, seine Innovationskraft und Kreativität – die sich trotz aller Widrigkeiten der Zeit und des Umfeldes entfalten konnten.
Vom Brotschani zum Chef de Cuisine
Mein Großonkel Franz Ruhm wurde 1896 in Brunn am Gebirge (Niederösterreich) geboren. Er war das älteste von sechs Kindern des Zimmermanns Ferdinand Ruhm und seiner Frau Victoria, die aus dem Waldviertel stammte. Schon als Kind half Franz im örtlichen Gasthaus mit – zunächst als sogenannter Brotschani (ein Verkäufer von Brot und Gebäck), später als Tellerwäscher und Besteckputzer. Für ein paar Kreuzer arbeitete er fleißig und sammelte erste Erfahrungen in der Gastronomie.
Mit 14 Jahren bewarb er sich im berühmten Hotel Sacher um eine Kochlehre, wurde jedoch nicht aufgenommen. Doch statt den Kopf hängen zu lassen, begann er im „Braunen Hirschen“ im 15. Wiener Bezirk eine Lehre als Zuckerbäcker. Nach seiner Gesellenprüfung absolvierte er ein Volontariat – eine zeitlich begrenzte, praxisorientierte Ausbildung – im renommierten Grand Hotel in Wien. Nach seinem Militärdienst im Ersten Weltkrieg als Kaiserjäger in Tirol fand Franz Ruhm nach einer kurzen Zeit der Arbeitslosigkeit wieder Beschäftigung – zunächst als Herrschaftskoch, später in verschiedenen großen Restaurants.
Ab 1920 arbeitete er im Wiener Rathauskeller, wo er bereits nach drei Jahren zum Küchenchef (Chef de Cuisine) aufstieg – ein bemerkenswerter Karriereweg für jemanden, der einst als Brotschani begonnen hatte. Sein Bruder Rudolf Ruhm (mein Großvater) blieb mit seiner Frau Anna dem Bäckerhandwerk treu. Gemeinsam führten die Brüder Bäckereien in Brunn und Maria Enzersdorf, mein Großvater alleine eine kleine Bäckerei in Mödling am Schrannenplatz.

Ein ganz besonderer Weg
Küchenchef alleine wäre eigentlich schon in den meisten Fällen der Zenit einer Kochkarriere. Mein Großonkel wollte aber mehr, vor allem seine Ideen im Kopf in die Realität des Lebens umzusetzen.
Parallel zu seiner Kochkarriere entdeckte er seine Begabung für Sprache und Literatur. Ab 1923 schrieb er Gedichte und Balladen, unter dem Pseudonym Frank Raymon auch Theaterstücke. Renommierte Künstler wie Anton Wildgans, Franz Theodor Csokor und Paul Wegener lobten sein Talent. Dieses schriftstellerische Gespür kam ihm später bei seinen Kochbüchern und Vorträgen zugute, die er mit Humor und bildhafter Sprache würzte. Besonders stolz war mein Großonkel auch auf seine Karikaturen, die er gerne in seinen Büchern platzierte – kleine Zeichnungen, die seine Texte mit Witz und Charme ergänzten.
1927 wurde er Chefredakteur der Zeitschrift Gastronom. 1928 trat er bei der ersten Kochkunstschau nach dem Ersten Weltkrieg auf und hielt im Radio einen Vortrag über die „Geschichte der Wiener Küche in der Entwicklung der Kochkunst“. Damit begann seine Medienkarriere: Franz Ruhm wurde Österreichs erster Radiokoch. Mit über 2.000 Radiosendungen prägte er Generationen von Hörern und wurde zum Publikumsliebling. 1945 übernahm er die Leitung des Verbands der Köche Österreichs und setzte sich für seinen Berufsstand ein.
Seine Popularität nutzte er, um seinen eigenen Verlag zu gründen. Dort erschien zunächst die Monatszeitschrift Wiener Küche, die zu einem großen Erfolg wurde. 1933 veröffentlichte mein Verwandter sein erstes Kochbuch, das Kochbuch für alle, das mehrfach neu aufgelegt wurde. Bald folgten weitere Publikationen – darunter Werke wie Kochen im Krieg (1940) oder 133 Rezepte für 1946, die praktische und kreative Lösungen für Zeiten des Mangels boten. Ebenso gab es eine Vielzahl von kleinen Rezeptheften, zumeist in Kooperation mit Ankerteigwaren. Sollten Sie zuhause noch alte -verkäufliche Bücher oder Rezepthefte haben, würde ich mich über eine kurze Nachricht freuen.
Seine Vorträge waren legendär. Mit Lichtbildern und Humor fesselte er das Publikum. Eine Leserin schrieb ihm 1948: „Wenn Sie von einem ‚empörten Zischen‘ oder einem ‚molligen Safterl‘ sprechen, steht das so bildhaft vor Augen, dass man schmunzeln muss.“
1955 wurde Franz Ruhm der erste Fernsehkoch. Am 21. Dezember präsentierte er in der Sendung Weihnachtsspezialitäten Kranzkuchen und Windbäckerei. Ab 1956 führte er durch die Fernsehküche im ORF, charmant und wienerisch: „Küss die Hand, meine Damen, Verehrung, meine Herren.“ Auch im Bayerischen Rundfunk trat er auf und bereitete Gerichte wie Würstel im Schlafrock oder Gugelhupf mit „a guads Kaffeetscherl“ zu. Gemeinsam mit Karl Zizala entwickelte er den innovativen Gastromat, ein energiesparendes Kochgerät, das mit einer 60-Watt-Glühbirne arbeitete – ein früher Beitrag zur Nachhaltigkeit in diesen Jahren.
Mein Großonkel war nicht nur ein Medienstar, sondern auch Lehrer und Mentor im kulinarischen Bereich. Er bildete viele junge Köche aus, darunter Ewald Plachutta, der ihn später als Wegbereiter des modernen Kochberufs würdigte. Ruhm machte den Beruf des Kochs gesellschaftsfähig und trug entscheidend zu seiner Anerkennung bei. Sein Wiener Schnitzel - das einzig echte...
Sein Motto lautete „Iss gut und bleib schlank“. Damit verband er Genuss mit Maß – ein Gedanke, der seiner Zeit weit voraus war. Sein Werk wurde mit zahlreichen Diplomen, Ehrenurkunden und Preisen geehrt.
Nach seinem Rückzug aus gesundheitlichen Gründen 1961 lebte Franz Ruhm in Purkersdorf, wo er am 20. März 1966 im Alter von 69 Jahren starb. Sein Grab befindet sich am Waldfriedhof Purkersdorf. In der Wienerwaldstadt erinnern heute die Franz-Ruhm-Gasse und ein Gedenkobelisk – gestaltet von seiner Enkelin Katharina Matiasek – an ihn. Seine Tochter Felicitas Ruhm wurde eine bekannte Schauspielerin beim österreichischen Fernsehen, seine Enkelin Constanze Ruhm ist als Künstlerin und Filmemacherin tätig.
Franz Ruhm bleibt unvergessen – als Radioliebling, erster Fernsehkoch, kreativer Autor und Pionier der Kochkultur. Mit Leidenschaft, Innovationsgeist und Herz prägte er die Wiener Küche und inspirierte Generationen von Köchinnen und Köchen. Seine Kunst, aus einfachen Zutaten in kurzer Zeit etwas Besonderes zu schaffen, lebt bis heute weiter. Würde Franz Ruhm heute noch leben, wäre er Influenzer mit eigenem Food-Porn-Blog, gehypter Youtuber mit einer Unzahl an Followern und Erfinder seines eigenen Thermomixes. Davon bin ich überzeugt...ein Vorbild für alle in unserer Zeit.
Bücher & Rezepte Sammlung in einer Übersicht
Wien Museum: Franz Ruhm – Koch und Medienstar
Purkersdorf-Online: Ausstellung 120. Geburtstag von Fernsehkoch Franz Ruhm
Podcast: Falsches Hirn mit Trockenei à la Franz Ruhm
Ruhms eigene Felicitas-Torte